Aus Briefen ehemaliger Belvederer
[...]
die Belvederer Zeit aus heutiger Sicht zu beurteilen, fällt mir nicht ganz leicht, […] (06.01.2009)
Meiner Meinung nach war die Atmosphäre im Belvedere meiner dortigen Schulzeit (1970 bis 1974) hauptsächlich geprägt von drei Faktoren:
1. von der sehr strengen, absolut [DDR-]staatskonformen Leitung der Schule (vor allem durch den Direktor),
2. vom fast verschwörerischen Zusammenhalt der Schüler und dem daraus resultierenden Vertrauen untereinander,
3. vom höheren musischen Niveau aller Beteiligten.
Punkt zwei ergab sich fast automatisch aus Punkt eins […]. Ich persönlich war jedenfalls in hohem Maße auf die Freundschaft, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft und das Vertrauen meiner Mitschüler angewiesen, […]. Resümierend kann ich heute sagen: Es war trotz aller negativen Erlebnisse (siehe Punkt 1) eine schöne und wertvolle, auch prägende Zeit im Belvederer Internat, und ich möchte so manche Erinnerung daran auf keinen Fall missen.
[Wie bewerte ich] den Unterricht (Musik und Allgemeinbildung)?
[…] Aus vielen Gesprächen und auch eigenen Erfahrungen im Nachhinein glaube ich jedoch sagen zu können, dass das Niveau der Vermittlung der Allgemeinbildung (dazu zähle ich jetzt auch die musikspezifischen Fächer) durchschnittlich höher war als im sonstigen Lande. Das mag zum einen auf der fast durchgehend hohen Kompetenz und Motivation der Lehrerschaft beruht haben, zum anderen sicher auch auf dem grundsätzlich etwas höheren Niveau der Schüler. Was hier vielleicht etwas überheblich klingt, liegt ja aber schon in der Natur der Sache: Wer bereits in diesem Alter auf ein Studium zusteuert, hat in den meisten Fällen auch früh eine hohe Lern- und Arbeitsmotivation, das ist dann auch vielfach elternhaus-geprägt. […] Der Zuwachs ergab sich in meinem Fall vor allem aus der gegenseitigen Motivation der Schüler […], ich habe also mehr geübt, als ich es zuhause getan hätte. Insgesamt kann ich sagen, dass die instrumentalfachliche Ausbildung in Belvedere zumindest so gut war, dass praktisch fast 100% ohne Probleme als Studenten an der Hochschule aufgenommen wurden, aber das war ja auch der Sinn der Übung.
[Das Internatsleben] war vor allem geprägt von den gemeinsamen Aktionen von uns Schülern, und daran habe ich fast ausschließlich positive Erinnerungen; mich ereilen regelmäßig sentimentale Gefühle, wenn ich mich an die vielen Begebenheiten erinnere. Der Grund liegt sicher auch darin, dass wir ja nicht nur Schulkameraden waren, sondern fast Familie, man hat ja […] praktisch alles gemeinsam gemacht. Und das prägt und verbindet natürlich in viel intensiverem Maße, als das zuhause an einer normalen Schule mit normalen Schulfreunden passiert. Zudem muss man konstatieren, dass Belvedere rein als Lokalität schon einen Vorteil (auch gegenüber den anderen drei Spezialschulen) hatte. Welch ein Privileg, in einem Schloss-Ensemble mit großem Park und Orangerie leben zu können; das haben wir damals natürlich nicht so recht zu würdigen gewusst, aber wir haben es genutzt und heute weiß ich, welch tiefe Spuren allein dieser Aspekt in mir hinterlassen hat, und bin dankbar dafür.
Nach meinem Studium an der Weimarer Musikhochschule (1974-79) hat es mich an die Küste verschlagen, wo ich noch heute lebe und arbeite und zwar als Solocellist der Norddeutschen Philharmonie Rostock. Ich habe nie bereut, diesen manchmal auch entbehrungsreichen Weg gegangen zu sein, und trotz mancher Ernüchterung liebe ich meinen Beruf immer noch und kann mir nicht vorstellen, ohne die Musik leben zu können.
[Abschließend] möchte ich […] mit einem Satz von Victor Hugo […] allen Verantwortlichen viel Erfolg und ein großes Herz bei der Ausbildung der ihnen anvertrauten jungen Menschen wünschen: "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist."
Mit herzlichen Grüßen
Norbert Wölz
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